MAN MUSS DAS UNMÖGLICHE VERSUCHEN, UM DAS MÖGLICHE ZU ERREICHEN.
Hermann Hesse
Startseite Die Projekte 2015 Warten auf Godot
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Menschenleer die Welt. Kalt. Vor einem Rest von Zivilisation warten die beiden Clochards Wladimir und Estragon – was waren sie vor dem Warten – auf  Godot. Wer ist das? Keiner weiß es. Aber jeder kennt ihn. Was ist er? Hoffnung wäre das Mindeste. Doch die Verabredung mit Godot fällt aus. Vielleicht täuschen die Beiden sich im Wochentag? Oder in der Zeit? Am Ort? Nichts scheint gewiss. Auch Pozzo und Lacky,  die wieder einmal zufällig ihren Weg kreuzen,  bringen keine Klarheit. Ja,  scheinen die beiden selbst nicht einmal mehr zu kennen. So warten Wladimir und Estragon weiter auf Godot,  fragen nach den Gründen ihres Da- und Hierseins –  und wärmen sich am kalten Ofen der Antworten.

Das berühmte Stück von Samuel Beckett nun auch in Heidenheim. Das THEATER AN DER LANDSTRASSE zeigt die Komödie ab dem 17. April 2015 an einem spektakulären Ort. Lassen Sie sich überraschen!

 

 


 

 

 

 

Geistiges Absurdistan

„Theater an der Landstraße“ spielte Becketts „Warten auf Godot“ im Voith-Trainings-Center

Heidenheimer Zeitung, 21.04.2015

„Sinn suchen, wo keiner ist“: Das treibt die beiden Tramps Estragon und Wladimir um. Zwei Philophen in Clownsgestalt, zwei Sinngrübler als Weißclown und dummer August, zwei verzweifelnd Orientierungslose auf der Suche nach irdischem und metaphysischem Halt. Zwei Musterfiguren des Verlorenseins, erdacht in der Mitte des letzten Jahrhunderts, als gerade ein  eltkriegsapokalyptischer Hurrikan auf dem Globus alle humanistischen Scheingewissheiten in Schutt und Asche gelegt hatte.

„Wir sind da, wie verabredet“, begrüßte Berndt Renne, Kopf des Heidenheimer „Theaters an der Landstraße“, das Publikum im kulturjungfräulichen Voith-Trainings-Center: „Wer kann das schon für sich behaupten?“

Seine Truppe hatte am Freitag an bislang absolut theaterabstinenter Location Premiere mit Samuel Becketts 1953 uraufgeführtem „Warten auf Godot“, dem, wie Renne meinte, „vielleicht bekanntesten Stück des 20. Jahrhunderts“.

Es war, so scheinbar absurd das Stück daherkommt, ein richtig schwerer dramatischer Brocken für die in bislang fünf Inszenierungen auch schon mächtig geforderten Heidenheimer Theateramateure zu bewältigen. Und Renne verwies in seiner kurzen Ansprache vorab auf die „fast übermenschliche Arbeit der Spieler, die mit solchen Schwierigkeiten noch nicht umgegangen sind“. Das Publikum war also eingestimmt – und vorgewarnt.

In der Tat sind die Akteure beim Erarbeiten von „Godot“, bei der Premiere war das unübersehbar, an Grenzen gestoßen. Ein gefragter Akteur war nämlich auch der Souffleur alias Berndt Renne, der sich hinter einer Säule des Ausbildungszentrums versteckt hielt, häufiger Stichwortgeber war – und damit den lebendigen Fluss der Dialoge ermöglichte.

Und das insgesamt dennoch bewundernswert dichte Spiel der insgesamt fünf Akteure stieß, nicht zuletzt in Sprachführung und gelegentlich etwas stereotyper Gestik, durchaus immer wieder an Grenzen. Was die einleitenden Sätze des Regisseurs glaubhaft belegte.

„Nichts ist sicher“, heißt es im Stück, dessen maximal reduzierte Dialoge weder Träger einer äußeren oder inneren dramaturgisch sinnvoll voranschreitenden Handlung sind. Unbestimmt sind Raum wie Zeit für Wladimir und Estragon: „Wo sind wir überhaupt?“, fragen sie im zweistündigen Stück – und man darf das gerne auch in einen existenziellen Gesamtzusammenhang einordnen.

Die beiden clownesken Tramps warten also auf Godot – wer auch immer das sein mag und wo immer man auf ihn zu treffen hofft und zu welchem Zweck.

Nichts ist greifbar und verlässlich; es gibt in der Welt der beiden geographisch wie transzendental Heimatlosen keinerlei Halt gebende Gewissheiten; man erfährt nichts über Godot und den Grund der Verabredung – evident ist nur die Tatsache des irritierenden Wartens. Befürchtet wird nur: „Wenn wir ihn fallen ließen?“ – „Würde er uns bestrafen.“ Er ist also eine Instanz, die Orientierung einfordert.

Doch das Denken der beiden Tramps ist zweckfrei und ebenso vergangenheitslos wie zukunftsungewiss – zugleich Spiel und Kunst.

Und die beiden Godot-Apologeten machen, in ihrem Landstraßen-Irgendwo (eine schöne Brücke zum Namen der Truppe), auch Bekanntschaft mit einer zweiten Paarung, die nun freilich sehr hierarchisch daherkommt und in der zweiten Doppelpräsenz auch für Dynamik in der clownesken Statik sorgt: Landbesitzer Pozzo und sein halsstrickgefesselter Adlatus Lucky sorgen für Theater im Theater und verändern die dramaturgische Konstellation: Den Menschen verachtend, wandelt sich der Kapitalist zum hilflosen Blinden, sein Knecht wird stumm.

Die Identität der Figuren ist durch Becketts verstörenden, scheinbar sinnfreien und gleichzeitig behauptenden, existenzialistischen Text weder objektiv noch subjektiv plastisch; die vorgestellte Welt ist frei von wohlfeilen sinnhaften Sicherheiten. Das in einem szenischen Spannungsbogen durchzuhalten, ist extrem schwierig.

Berndt Renne hat vier seiner auch in früheren Produktionen erfahrenen Akteure eingebaut in dieses theatralische Schwergewicht, das doch in scheinhafter Leichtigkeit voranschreitet.

Thomas Fritz spielt den Estragon und und Vojko Vrbancic den weißclownesken Wladimir. Sie artikulieren sorgsam und spielen, insgesamt, begeisternd – trotz häufigen Soufflierens. Und sie werden dabei tatkräftig unterstützt von Peter Wengefeld und Admir Zaracevic als Pozzo und Lucky, die Bewegung zwischen die rhetorischen Pirouetten der beiden Hauptfiguren bringen.

Und dann ist da noch, als jugendfrischer Neuling, Lenz Sattler als leichtfüßiger Godot-Künder und -Ankommensverschieber, der unverkünstelte Farbe in die ambitionierte Renne-Inszenierung bringt. Die existenzielle Unbehaustheit der Menschen, ihr Taumeln im irdischen wie transzendentalen Absurdistan, ist Becketts vielfach adaptiertes Thema. „Bereuen – dass wir geboren wurden?“, heißt es einmal im Stück. Und: „Wo sind wir überhaupt?“

Mit „Warten auf Godot“ rührt Regisseur Berndt Renne an Grenzfragen menschlicher Existenz. Er geht das, wieder einmal, mit großer Unerschrockenheit und Konsequenz an. Aber möglicherweise trat er mit seiner Inszenierung ein wenig zu früh an die Öffentlichkeit – die Inszenierung bedarf noch des Finishings.

Bewundernswert bleibt der Mut, sich mit Amateuren an Samuel Becketts hoch anspruchsvolles Jahrhundertdrama zu wagen, aber allemale. Die Inszenierung ist sehr sehenswert – und das beileibe nicht nur wegen des ungewöhnlichen Aufführungsortes.

Manfred Allenhöfer